Medizinrecht – Arzthaftung – Aufklärungsfehler: Koloskopie / Darmspiegelung
Der Aufklärungsfehler in der gerichtlichen Praxis
Das OLG Hamm hat (Az.: 26 U 85/12) entschieden, dass ein Facharzt für Chirurgie einem Patienten 220.000,– Euro Schmerzensgeld zahlen muss. Die durchgeführte Koloskopie (= Darmspiegelung) ist zwar fachgerecht erfolgt, der Chirurg hatte den Patienten aber über die Risiken der OP aber unzureichend aufgeklärt. In Folge der Darmspiegelung kam es zu einer Darmperforation. Diese musste als Notfall operativ behandelt werden. Die zweite Behandlung führte dann zu einer Bauchfellentzündung. Der Kläger musste sich weiteren OPs unterziehen und wurde über Monate hinweg intensiv – medizinisch behandelt. Infolge dieser Vorgänge wurde er im Alter von 48 Jahren zum Frührentner.
Das Problem: Unzureichende Aufklärung über das Risiko einer Darmperforation
Nachdem das zuständige Landgericht die Klage abgewiesen hatte, änderte das OLG Hamm die erstinstanzliche Entscheidung ab und sprach dem Kläger Schadensersatz & Schmerzensgeld in Höhe von 220.000,– Euro wegen unzureichender Risikoaufklärung zu.
Der Inhalt einer vom Kläger unterzeichneten schriftlichen Einverständniserklärung lasse nicht auf eine ausreichende Risikoaufklärung schließen. Nach dem vorgedruckten Teil der Einverständniserklärung sei zwar. auf „die mit dem Eingriff verbundenen unvermeidbaren nachteiligen Folgen, mögliche Risiken und Komplikationsgefahren“ hingewiesen worden. Diese allgemein gehaltene Erklärung sei inhaltslos und wirke mit dem Hinweis auf „unvermeidbare nachteilige Folgen“ auch noch verharmlosend. Auf die möglicherweise schwerwiegenden Folgen einer auch fachgerechten durchgeführten Darmspiegelung sei aber hinzuweisen, auch wenn es sich um eine seltene Komplikation handele.
Der vorgelegten schriftlichen Einverständniserklärung sei nicht zu entnehmen, dass die Erklärung vom Patienten gelesen, von ihm verstanden oder mit ihm erörtert worden sei. Eine rein schriftliche Aufklärung ist aber ohnehin unzulässig. Der Patient muss nach § 630e Abs.2 Nr.1 BGB mündlich erfolgen. Der vorliegende Fall zwar noch nach der Rechtslage vor der Verabschiedung des „Patientenrechtgesetz“ zu entscheiden. Allerdings entsprechen die in § 630e BGB kodifizierten Aufklärungspflichten des Behandlers und auch die entsprechende Beweislastverteilung ohnehin nur dem bereits zuvor geltenden „Richterrecht“. Das Erfordernis der Mündlichkeit der Aufklärung hatte die Rechtsprechung schon zuvor aufgestellt, da der Patient Gelegenheit zu Nachfragen haben muss.
Wie stets bei Aufklärungsfehlern erhob die Gegenseite die Einrede der hypothetischen Einwilligung. Nach diesem Rechtsinstitut haftet der Arzt nicht wegen Aufklärungsfehlern , wenn der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte. Diesem Einwand kann durch die Darlegung eines sogenannten „ernsthaften Entscheidungskonflikts“ durch den Patienten begegnet werden. Der Patient (und Kläger) muss in diesem Fall darlegen, dass er im Fall der ordnungsgemäßen Aufklärung einer schwierigen Entscheidung bzeüglich des „Ob“ der Behandlung gestanden hätte.
Fazit
An der Entscheidung des OLG Hamm lassen sich gleich mehrere Eigenheiten des Arzthaftungsrechts erkennen. Weder waren dem Chirurg bei der OP irgendwelche Fehler unterlaufen, noch hatte sein Vorgehen zu der Frühberentung des Klägers geführt. Er haftet dennoch.
Hintergrund ist, dass stets der erste Behandler haftet, dem ein Fehler unterlaufen ist. Führt dieser Fehler zu FolgeOPs in deren Folge der Patient einen Schaden erleidet und geschehen bei den Folgeoperationen weitere Fehler, ist der Erstbehandler auch für deren Konsequenzen eintrittspflichtig. Gleichzeitig lässt sich dem Verfahrensgang entnehmen, dass der Behandler das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Aufklärung beweisen muss. Die Entscheidung folgt auch einem weiteren Grundsatz der Aufklärungsfehlerhaftung: Auch über seltene Risiken ist aufzuklären, so lange das Risiko im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen erheblich ist.