Bundesverwaltungsgericht – Beschluss vom 31.07.2019
Leitsatz:
Der Widerruf der ärztlichen Approbation wegen Unwürdigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO ist nur gerechtfertigt, wenn er im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens zur Abwehr einer Gefahr für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient weiterhin erforderlich ist.
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 7.18
- VG Regensburg – 28.04.2016 – AZ: VG RN 5 K 15.1137
- VGH München – 28.06.2017 – AZ: VGH 21 B 16.2065
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Juli 2019
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner
beschlossen:
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Juni 2017 wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Approbation als Ärztin.
Das Amtsgericht Passau verurteilte sie mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Oktober 2014 wegen Betrugs in 22 Fällen (§ 263 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Bewährungszeit: 3 Jahre). Der Verurteilung lag nach den Gründen des Strafurteils folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin hatte im Jahr 1982 eine Krankentagegeldversicherung zur Absicherung eines Verdienstausfalls aufgrund vollständiger Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit oder Unfalls abgeschlossen. Nach den Vertragsvereinbarungen wurde ein Krankentagegeld in Höhe von jeweils 127,82 € nach Ablauf einer Karenz von 7 Tagen (Tarif 603) bzw. 14 Tagen (Tarif 609) fällig, wenn die Klägerin arbeitsunfähig ist, sich an ihrem Wohnort aufhält und keiner Beschäftigung nachgeht. In den Zeiträumen vom 14. August 2007 bis 31. Dezember 2008 und vom 24. Mai 2011 bis 3. Oktober 2011 erklärte sie in 22 Fällen gegenüber dem Versicherer, arbeitsunfähig zu sein, während ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht zu arbeiten und sich am Wohnort aufzuhalten. Dadurch veranlasste sie den Versicherer, für die jeweiligen, im Strafurteil im Einzelnen benannten Zeiträume 255,64 € täglich an sie auszuzahlen. Gleichwohl war die Klägerin in den Zeiträumen der angeblichen vollständigen Arbeitsunfähigkeit an 118 Tagen als selbstständige Ärztin in ihrer Praxis tätig und arbeitete an 30 Tagen als Schiffsärztin. An weiteren 107 Tagen hielt sie sich an anderen Orten als dem Wohnort auf. Die Klägerin bezog auf diese Weise Krankentagegeld in Höhe von 65 188,20 € (255 Tage x 255,64 €), ohne darauf, wie sie wusste, einen Anspruch zu haben. Durch ihr Verhalten wollte sie sich eine nicht nur vorübergehende wiederholte Einnahmequelle von erheblichem Gewicht verschaffen.
Die Regierung von Oberbayern widerrief mit Bescheid vom 28. April 2015 die Approbation der Klägerin, weil sie aus berufsrechtlicher Sicht unwürdig sei, den Beruf der Ärztin weiter auszuüben.
Durch Urteil vom 28. April 2016 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid mit der Begründung aufgehoben, die Verurteilung der Klägerin wegen Betruges in 22 Fällen führe nicht dazu, dass sie im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Bundesärzteordnung (BÄO) unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufs sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Prognose gerechtfertigt sein, dass von dem betroffenen Arzt eine Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut ausgehe. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall. Da die von ihr verübten Betrugstaten keinen Bezug zum Arztberuf aufwiesen und bereits längere Zeit zurücklägen, sei das Ansehen der Ärzteschaft nur in relativ geringem Umfang beeinträchtigt. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei daher eine Berufsunwürdigkeit zu verneinen.
Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof durch Urteil vom 28. Juni 2017 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens sei die Approbation zwingend zu widerrufen gewesen. Die Klägerin habe sich eines Verhaltens schuldig gemacht, aus dem sich ihre Unwürdigkeit zur weiteren Ausübung des ärztlichen Berufs ergebe. Die von ihr verübte Straftat des Betrugs in 22 Fällen führe bei Würdigung aller Umstände dazu, dass sie nicht mehr das für die Ausübung des ärztlichen Berufs unabdingbar nötige Ansehen und Vertrauen besitze. Die Allgemeinheit erwarte bei der gebotenen objektiven Betrachtung von einem Arzt, dass er anderen nicht durch erhebliche Straftaten wesentlichen Schaden zufüge, weil das dem Bild vom helfenden und heilenden Arzt zuwiderliefe. Die Betrugstaten der Klägerin hätten mit Blick auf den langen Tatzeitraum und die Höhe des Schadens erhebliches Gewicht. Sie belegten, dass sie um des eigenen Vorteils wegen bereit sei, sich über finanzielle Interessen Dritter hinwegzusetzen und diesen einen erheblichen Schaden zuzufügen. Das rechtfertige die Annahme der Berufsunwürdigkeit. Der Zeitablauf von dreieinhalb Jahren seit Beendigung der letzten Betrugstat bis zur Widerrufsentscheidung gebe keine Veranlassung zu einer anderen Bewertung. Das Gleiche gelte für den Umstand, dass die Klägerin während dieses Zeitraums ein auch im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit beanstandungsfreies Verhalten gezeigt habe, sie im Strafverfahren geständig gewesen sei und den zur Schadensbegleichung erforderlichen Geldbetrag schon im Zuge des Strafverfahrens auf ein Anderkonto ihres Strafverteidigers überwiesen habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützt ist.
II
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Weder hat die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch weicht das angegriffene Berufungsurteil im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab (2.).
Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,
„ob eine strafrechtliche Verurteilung einer Ärztin wegen Betruges gegenüber der eigenen privaten Krankenversicherung, der in keinem Zusammenhang mit der Verletzung ärztlicher Berufspflichten durch die Ärztin steht, im Hinblick auf den damit verbundenen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und der damit verbundenen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Approbationswiderrufs, die Annahme der Unwürdigkeit zur ärztlichen Berufsausübung rechtfertigt und ob im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Vollzugsfolgen für die Ärztin Berücksichtigung finden müssen“,
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Soweit die Frage einer fallübergreifenden Klärung zugänglich ist, bedarf es zu ihrer Beantwortung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats ist eine Ärztin im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig, wenn sie ein Fehlverhalten gezeigt hat, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit einer Ärztin schlechthin nicht zu vereinbaren ist, und sie daher nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung des ärztlichen Berufs unabdingbar ist (BVerwG, Beschluss vom 15. November 2012 – 3 B 36.12 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 113 Rn. 7 m.w.N.). Geklärt ist auch, dass der Widerruf der ärztlichen Approbation wegen Berufsunwürdigkeit mit Blick auf den grundgesetzlich gewährleisteten Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und das Verhältnismäßigkeitsgebot an hohe Voraussetzungen geknüpft ist. Anlass für den Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit kann nur ein schwerwiegendes Fehlverhalten sein, das geeignet ist, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den ärztlichen Berufsstand nachhaltig zu erschüttern, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos. Es muss bei Würdigung aller Umstände die weitere Berufsausübung als untragbar erscheinen lassen (BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 1998 – 3 B 95.97 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 100 S. 50 f. und vom 13. Februar 2014 – 3 B 68.13 – juris Rn. 10; zur Parallelregelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZHG: Beschlüsse vom 27. Januar 2011 – 3 B 63.10 – Buchholz 418.01 Zahnheilkunde Nr. 29 Rn. 4 und vom 16. Februar 2016 – 3 B 68.14 [ECLI:DE:BVerwG:2016:160216B3B68.14.0] – juris Rn. 6). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ist der Abschluss des Verwaltungsverfahrens, hier also der Erlass des Widerrufsbescheids am 28. April 2015 (stRspr, z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 1998 – 3 B 95.97 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 100 S. 50 und vom 18. August 2011 – 3 B 6.11 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 111 Rn. 9 m.w.N.; ebenso für die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung: BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012 – B 6 KA 49/11 R – BSGE 112, 90 Rn. 32 ff.; für den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft: BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011 – AnwZ <Brfg> 11/10 – BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.). In der Rechtsprechung des Senats ist des Weiteren geklärt, dass der für die Annahme der Unwürdigkeit erforderliche Ansehens- und Vertrauensverlust auch durch Straftaten bewirkt werden kann, die nicht im Arzt-Patienten-Verhältnis angesiedelt sind oder die ein außerberufliches Fehlverhalten betreffen, wenn es sich dabei um gravierende Verfehlungen im genannten Sinne handelt (BVerwG, Beschlüsse vom 28. August 1995 – 3 B 7.95 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 91 S. 23 f., vom 27. Januar 2011 – 3 B 63.10 – a.a.O. Rn. 3 und vom 16. Februar 2016 – 3 B 68.14 – a.a.O. Rn. 6).
Ob gemessen an diesen Vorgaben – von denen auch der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen ist (UA Rn. 16 und 23) – das in Rede stehende Fehlverhalten der Klägerin den Schluss auf die Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs rechtfertigt, betrifft die tatrichterliche Überzeugungsbildung im Einzelfall und entzieht sich daher einer fallübergreifenden Klärung (BVerwG, Beschlüsse 27. Januar 2011 – 3 B 63.10 – Buchholz 418.01 Zahnheilkunde Nr. 29 Rn. 4, vom 13. Februar 2014 – 3 B 68.13 – juris Rn. 10 und vom 16. Februar 2016 – 3 B 68.14 – juris Rn. .
Ein Rechtssatz des Inhalts, dass Betrugstaten, wie sie der strafgerichtlichen Verurteilung der Klägerin zugrunde liegen, generell keinen Widerruf der ärztlichen Approbation wegen Unwürdigkeit rechtfertigen können, lässt sich jedenfalls nicht aufstellen. Hier hat der Verwaltungsgerichtshof angenommen, die Allgemeinheit erwarte von einem Arzt, dass er anderen nicht durch erhebliche Straftaten wesentlichen Schaden zufüge, weil das dem Bild vom helfenden und heilenden Arzt zuwiderliefe. Er hat weiter festgestellt, dass die strafrechtlich geahndeten Betrugstaten der Klägerin mit Blick auf den langen Tatzeitraum und die Höhe des Schadens ein erhebliches Gewicht hätten, was sich auch daran zeige, dass das Amtsgericht von einem besonders schweren Fall des Betrugs ausgegangen sei und eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verhängt habe. Zudem hat er darauf abgestellt, dass die Betrugstaten ein Gewinnstreben um jeden Preis offenbarten und dass ein Arzt, der sich so verhalte, das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die vorrangig am Wohl der Patienten orientierte Berufsausübung verliere (UA Rn. 23 f.). Mit ihrer einzelfallbezogenen Kritik an dieser tatrichterlichen Würdigung zeigt die Klägerin keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf.
Auch hinsichtlich der im zweiten Teil der Frage angesprochenen Berücksichtigung der Vollzugsfolgen für die Verhältnismäßigkeit des Approbationswiderrufs legt die Beschwerde keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf dar. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO ist der Widerruf der Approbation zwingend („ist zu widerrufen“), wenn der Betroffene sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Sind die Voraussetzungen der Berufsunwürdigkeit im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens erfüllt, ist der mit dem Widerruf der Approbation verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit gerechtfertigt, ohne dass es einer zusätzlichen Abwägung mit den persönlichen Lebensumständen des Betroffenen und den Vollzugsfolgen des Approbationswiderrufs bedarf (BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 1998 – 3 B 95.97 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 100 S. 50 f. und vom 16. Februar 2016 – 3 B 68.14 – juris Rn. 9).
Das begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar stellt der Widerruf der ärztlichen Approbation einen besonders schweren Eingriff in die Berufsfreiheit dar; er ist deshalb nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig. Diese Anforderung ist aber erfüllt. Der Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit bezweckt, das Ansehen der Ärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit zu schützen, um das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde verliehen ist und in deren Behandlung sich die Patienten begeben. Dieses Vertrauen würde durch eine fortdauernde Berufstätigkeit von Ärzten zerstört, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist (BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2011 – 3 B 63.10 – Buchholz 418.01 Zahnheilkunde Nr. 29 Rn. 4 m.w.N.). Mit dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient untrennbar verbunden ist das Schutzgut der Volksgesundheit, die ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 – GesR 2017, 739 <740>).
Der Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit muss zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in die Berufswahlfreiheit stehen. Dem trägt die Auslegung des Begriffs der Berufsunwürdigkeit Rechnung, indem sie deren Feststellung an hohe Voraussetzungen knüpft. Es bedarf – wie gezeigt – eines schwerwiegenden Fehlverhaltens des Arztes, das geeignet ist, das für eine ordnungsgemäße ärztliche Aufgabenerfüllung erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig zu erschüttern (BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 3 B 68.14 – juris Rn. 6 m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 – GesR 2017, 739 <740>). Bei der Beurteilung sind alle Umstände der Verfehlung(en) zu berücksichtigen, wie etwa Art, Schwere und Dauer des Fehlverhaltens, verhängtes Strafmaß und zugrundeliegende Strafzumessungserwägungen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens Umstände vorliegen, die dazu führen, dass von einer Berufsunwürdigkeit nicht oder nicht mehr ausgegangen werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 – GesR 2017, 739 <740>). Schließlich wird dem Verhältnismäßigkeitsgebot dadurch Rechnung getragen, dass der Betroffene einen Antrag auf Wiedererteilung der Approbation stellen kann (vgl. § 8 BÄO). Hat der Antragsteller die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs wiedererlangt und liegt auch sonst kein Versagungsgrund vor, hat er einen Anspruch auf erneute Erteilung der Approbation (BVerwG, Beschluss vom 15. November 2012 – 3 B 36.12 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 113 Rn. 6). Das gilt auch für die Klägerin. Im Wiedererteilungsverfahren sind alle Umstände und Entwicklungen zu berücksichtigen, die nach Abschluss des behördlichen Widerrufverfahrens – hier: nach Erlass des Widerrufsbescheides am 28. April 2015 – eingetreten sind (BVerwG, Beschlüsse vom 15. November 2012 – 3 B 36.12 – a.a.O. Rn. 7 und 16. Februar 2016 – 3 B 68.14 – a.a.O. Rn. 9).
Der Verwaltungsgerichtshof ist von diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ausgegangen. Insbesondere hat er auch geprüft, ob seit Beendigung der letzten Betrugstat der Klägerin bis zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung Umstände eingetreten sind, die der Annahme ihrer Berufsunwürdigkeit entgegenstehen. Er hat diese Frage auf der Grundlage seiner tatrichterlichen Würdigung verneint (vgl. UA Rn. 25). Dass sich hieraus ein weitergehender, fallübergreifender Klärungsbedarf ergeben würde, legt die Klägerin mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht dar. Das gilt auch, soweit sie auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verweist. Aus dessen Beschluss vom 8. April 2010 – 1 BvR 2709/09 – (NJW 2010, 2268) ergibt sich nicht, dass es einer zusätzlichen Abwägung mit den persönlichen Lebensumständen der Klägerin bedurft hätte. Die Entscheidung betrifft nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des Approbationswiderrufs, sondern die gesonderte, strengeren Voraussetzungen unterliegende Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Approbationswiderrufs (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. April 2010 – 1 BvR 2709/09 – a.a.O. S. 2268 f.).
Die weitere Frage,
„ob bei der Prüfung des Merkmals der Unwürdigkeit aufgrund eines nicht berufsbezogenen Fehlverhaltens einer Ärztin zusätzlich eine Überprüfung dahingehend vorgenommen werden muss, ob von der Ärztin prognostisch überhaupt weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann“,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. In der Rechtsprechung des beschließenden Senats ist geklärt, dass ein – hier nicht in Rede stehender – Widerruf der Approbation wegen Unzuverlässigkeit Tatsachen erfordert, die die Annahme rechtfertigen, die Ärztin werde in Zukunft die Vorschriften und Pflichten nicht beachten, die ihr Beruf mit sich bringt. Dem Begriff der Unzuverlässigkeit wohnt ein prognostisches Element inne. Es geht um die Beantwortung der Frage, ob die Ärztin nach den gesamten Umständen des Falles willens und in der Lage sein wird, künftig die ärztlichen Berufspflichten zuverlässig zu erfüllen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 16. September 1997 – 3 C 12.95 – BVerwGE 105, 214 <220> und vom 28. April 2010 – 3 C 22.09 – BVerwGE 137, 1 Rn. 10; Beschlüsse vom 9. Januar 1991 – 3 B 75.90 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 80 S. 28 und vom 27. Oktober 2010 – 3 B 61.10 – juris Rn. 5). Demgegenüber enthält der Begriff der Unwürdigkeit kein vergleichbares prognostisches Element (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Januar 1991 – 3 B 75.90 – a.a.O. S. 28 f. und vom 2. November 1992 – 3 B 87.92 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 83 S. 35 f.). Entsprechend erfordert der Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit keine auf die Person des Betroffenen bezogene Gefahrenprognose; eine Wiederholungsgefahr ist nicht erforderlich (BVerwG, Beschlüsse vom 27. Januar 2011 – 3 B 63.10 – Buchholz 418.01 Zahnheilkunde Nr. 29 Rn. 4 und vom 13. Februar 2014 – 3 B 68.13 – juris Rn. 12). Gleichwohl geht es auch bei dem Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit nicht um eine Sanktion, sondern um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr (BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2011 – 3 B 63.10 – a.a.O.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 – GesR 2017, 739 <740>). Deshalb ist der Widerruf der Approbation nur gerechtfertigt, wenn er im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens zur Abwehr einer Gefahr für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient weiterhin erforderlich ist. Das ist der Fall, wenn die Voraussetzungen der Berufsunwürdigkeit in diesem Zeitpunkt erfüllt sind.
Der von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Klärungsbedarf ergibt sich auch nicht mit Blick auf die von ihr in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. August 2007 – 1 BvR 1098/07 -. Das Bundesverfassungsgericht hat dort zwar Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Merkmals der Unwürdigkeit durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung geäußert, weil möglicherweise verfassungsrechtlich die Prüfung geboten sei, ob von dem Betroffenen prognostisch eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehe (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 2007 – 1 BvR 1098/07 – BVerfGK 12, 72 <78>). Im Kammerbeschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 – (GesR 2017, 739 <740>) hat es allerdings ausgeführt, dass der Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 GG bei der Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit hinreichend Rechnung getragen wird, wenn nicht nur auf das jeweilige Fehlverhalten, sondern auch auf mögliche veränderte Umstände abgestellt wird, die eine abweichende Beurteilung der Berufsunwürdigkeit rechtfertigen könnten. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Prüfung – wie gezeigt – vorgenommen. Die Klägerin zeigt nicht auf, welcher weitergehende fallübergreifende Klärungsbedarf danach bestehen könnte.
Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die behauptete Abweichung des Berufungsurteils von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts liegt nicht vor.
Der Rechtssatz des Verwaltungsgerichtshofs, es bedürfe keiner zusätzlichen Abwägung mit den persönlichen Lebensumständen des Betroffenen wie etwa Alter und Möglichkeiten anderweitiger beruflicher Tätigkeit (UA Rn. 30), steht – wie bereits im Rahmen der Grundsatzrüge ausgeführt – nicht in Widerspruch zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 2010 – 1 BvR 2709/09 – (NJW 2010, 2268).
Soweit die Klägerin eine Abweichung von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. August 2007 – 1 BvR 1098/07 – (BVerfGK 12, 72) rügt, bezeichnet sie keinen Rechtssatz, dem das Berufungsurteil widersprochen haben könnte. Den von ihr bezeichneten Rechtssatz, dass „ein Eingriff in die Berufswahlfreiheit verfassungsrechtlich unerlässlich eine Prüfung voraussetze, ob vom betroffenen Arzt prognostisch überhaupt eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehe“, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 28. August 2007 in Bezug auf den Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit nicht aufgestellt. Es hat vielmehr offen gelassen, ob eine solche Prüfung erforderlich ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 2007 – 1 BvR 1098/07 – BVerfGK 12, 72 <78>). Eine Gefahr für die Allgemeinheit geht von dem betroffenen Arzt im Übrigen nicht nur aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich sein Fehlverhalten wiederholen wird, sondern im Hinblick auf die Volksgesundheit auch, wenn er wegen des vergangenen Fehlverhaltens das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Vertrauen nicht mehr besitzt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 – GesR 2017, 739 <740>).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
MItgeteilt von: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in Gießen und Wetzlar Björn Weil